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In dem bereits erwähnten Kapitel über die Slaven schrieb Herder: "Sie waren mildtätig, bis zur Verschwendung gastfrei, Liebhaber
								der ländlichen Freiheit, aber unterwürfig und gehorsam, des Raubens
								und Plünderns Feinde. Alles das half ihnen nicht gegen die Unterdrückung;
								ja es trug zu derselben bei. Denn da sie sich nie um die Oberherrschaft
								der Welt bewarben, keine kriegssüchtigen, erblichen Fürsten unter
								sich hatten und lieber steuerpflichtig wurden, wenn sie ihr Land
								nur mit Ruhe bewohnen konnten: so haben sich mehrere Nationen,
								am meisten aber die vom deutschen Stamme, an ihnen hart versündigt.
								Schon unter Karl dem Großen gingen jene Unterdrückungskriege an,
								die offenbar Handelsvorteile zur Ursache hatten, obgleich sie
								die christliche Religion zum Vorwande gebrauchten. (...) Was die
								Franken angefangen hatten, vollführten die Sachsen; in ganzen
								Provinzen wurden die Slaven ausgerottet oder zu Leibeigenen gemacht
								und ihre Ländereien unter Bischöfe und Edelleute verteilt. (...)
								Unglücklich [ist das slavische Volk], daß seine Lage unter den
								Erdvölkern es auf einer Seite den Deutschen so nahe brachte, und
								auf der andern seinen Rücken allen Anfällen östlicher Tataren
								freiließ, unter welchen, sogar unter den Mongolen, es viel gelitten,
								viel geduldet. Das Rad der ändernden Zeit dreht sich indes unaufhaltsam;
								und da diese Nationen größtenteils den schönsten Erdstrich Europas
								bewohnen, wenn er ganz bebaut und der Handel daraus eröffnet wurde,
								da es auch wohl nicht anders zu denken ist, als daß in Europa
								die Gesetzgebung und Politik statt des kriegerischen Geistes immer
								mehr den stillen Fleiß und den ruhigen Verkehr der Völker untereinander
								befördern müssen und befördern werden: so werdet auch ihr so tief
								versunkene, einst fleißige und glückliche Völker endlich einmal
								von eurem langen trägen Schlaf ermuntert, von euren Sklavenketten
								befreit, eure schönen Gegenden vom Adriatischen Meer bis zum karpathischen
								Gebirge, vom Don bis zur Mulda [Moldau] als Eigentum nutzen und
								eure alten Feste des ruhigen Fleißes und Handels auf ihnen feiern
								dürfen!"[2]  Herder erblickte in den Slaven die jugendlichen Träger einer zukünftigen
							Weltkultur, die eines Tages das Ideal der höchsten Humanität verwirklichen
							sollten. Um dieser Zukunftsmission gerecht werden zu können, bedurfte
							es der freien Entwicklung der menschlichen Seelenkräfte, die sich
							durch die Sprache, dem "Wesen der menschlichen Seele", offenbaren.
							"Der Mensch ist ein freidenkendes, tätiges Wesen, dessen Kräfte
							in Progression fortwirken; darum sei er ein Geschöpf der Sprache."[3] Sollten also die Kräfte der jugendlichen slavischen Völker erweckt
							und erzogen werden, mußte man folglich ihre Sprachen pflegen,
							erhalten und weiterbilden. Herders Gedanken trafen in den tieferen Bewußtseinsschichten von
							Vertretern der slavischen Intelligenz auf ein außergewöhnliches
							Echo, vor allem in der Zeit des "nationalen Erwachens", der "Wiedergeburt"
							der mitteleuropäischen Völker während der ersten Hälfte des 19.
							Jahrhunderts. Stellvertretend für viele Stimmen sei aus dem Artikel
							eines anonymen Kroaten zitiert, der 1837 in der Zeitung Danica ilirska veröffentlicht wurde. Darin heißt es: "Pflanzen wir unserer Jugend
							die lebendige und heiße Liebe zur Muttersprache in die zärtlichen
							Herzen. (...) Soll unsere Jugend die Wahrheit der goldenen Herderschen
							Worte in ihre Seele aufnehmen. (...) Hat wohl ein Volk etwas liebenswerteres
							als die Sprache seiner Väter? In der wohnet sein ganzer Reichtum
							an Gedanken, Tradition, Geschichte, Religion und Grundsätzen des
							Lebens, all sein Herz und Seele! Einem solchen Volke seine Sprache
							nehmen oder herabwürdigen heisst ihm sein einziges unsterbliches
							Eigenthum nehmen, das von Eltern auf Kinder vorgeht. Wer mir meine
							Sprache verdrängt, will mir auch meine Vernunft und Lebensweise,
							die Ehre und Rechte meines Volkes rauben. (...) Kein grösserer
							Schaden kann einer Nation zugefügt werden, als wenn man ihr den
							Nationalcharakter, die Eigenheiten des Geistes und ihre Sprache
							raubt!"[4] Der Slovake JÁN KOLLÁR (1793-1852) hatte von 1817 bis 1819 in
							Jena studiert und war dort den Spuren Schillers, Wielands und
							Herders nachgegangen. Er besuchte Goethe und beschäftigte sich
							mit Wilhelm von Humboldts Sprachentheorie. Auf dem Wartburgfest
							hatte Kollár am 18. Oktober 1817 miterlebt, wie sich die jungen
							Vertreter der deutschen Stämme zu einer einigen deutschen Nation
							bekannten. Dabei stieg in ihm der Gedanke auf, daß ähnlich wie
							sich die deutsche Nation aus verschiedenen Volksstämmen (Bayern,
							Franken, Hessen, Preußen usw.) zusammensetzte, auch die einzelnen
							Slavenvölker lediglich Stämme der einen slavischen Nation darstellten.
							So schrieb Kollár später in einem Epigramm: Co jsi ty? Èech. Co ty? Rus. Co ty? Srb. A ty? Já Polák jestem. "Was bist du? Tscheche. Und du? Russe. Und du? Serbe. Und du?
								Ich bin Pole. Das Ideal der "slavischen Wechselseitigkeit" (slovanská vzájemnost) wurde von Kollár ursprünglich als geistig-kulturelle Aufgabe,
							nicht jedoch als politisches Ziel verstanden. Sie sollte die Slaven
							auf eine höhere Kulturstufe heben und aus der Nationalität in
							ein allgemein-menschliches Element führen:  "Menschen und Völker, im schönsten Sinne des Wortes, werden erst
								durch die Anschauung des Ganzen der Menschheit, ohne welche die
								einzelnen Menschen nur Kinder, die Völker und Stämme nur Barbaren
								bleiben. Stämme und Völker die sich den Einflüssen und Berührungen
								mit anderen verschliessen, sind wie Wohnungen, in welche keine
								frische Luft kommt." "Das Leben der Menschheit ist Entwicklung
								der Vernunft oder Entfaltung der inneren Welt im Menschen. Völker
								sind Formen in denen sich die Menschheit entwickelt und gestaltet.
								Das Ziel der Menschheit ist demnach immer vorwärts zu schreiten;
								sie berechnet ihre Wege aber nicht nach Schritten, Stunden oder
								Meilen, sondern nach Stadien, Jahrhunderten, Epochen." "Der Slawe hat innerhalb seiner Nation die schönste Gelegenheit
								sich zu der Humanität, zu dem Reinmenschlichen zu erziehen und
								stuffenweise (sic!) zu erheben. Er kann sich dazu nach und nach
								üben an den einzelnen Stämmen, sein Humanitätsgefühl kann er immer
								höher steigern, seine Liebe immer weiter ausbreiten, von der Person
								zum Stamm, vom Stamm zu den Stämmen, von den Stämmen zu der Nation,
								von der Nation zu der Menschheit. Die andern Völker sind schon
								zu sehr in ihre Nationalität vertieft, zu sehr von jenem Patriotismus,
								der nur ein einziges Vaterland hat befangen (...). Bei den andern
								Völkern ist die Humanität noch der Nationalität, bei den Slawen
								die Nationalität der Humanität untergeordnet. (...) Die Slawen
								sollen also die Fortsetzung des geistigen Lebens der Menschheit
								übernehmen, die Vermittler zwischen der alten und neuen Welt,
								zwischen Ost und Süd sein; die alternden Culturelemente verjüngen
								und zur Humanität potenziiren (...). Die Zukunft keimt und blüht
								nur in und aus der Gegenwart: wer diese nicht schätzen weiss,
								wie kann der Gutes und Grosses von der Zukunft hoffen?"[6] Mit einem verwandten Gedanken schloß auch Kollárs Landsmann L'udovít
							©túr seine sehr viel politischer gehaltene Schrift Das Slawenthum und die Welt der Zukunft (1867): "Erhebet Eure lange gebeugten Herzen, Slawen, u.[nd] fasset Muth
								zum Handeln mit Hilfe Gottes! Leer ist aber aller Nationaleigendünkel,
								der keinen tieferen Keim in sich birgt. Um die Menschheit geht
								es zuletzt, deren wir mit allen anderen Völkern Glieder sind.
								Dies unsere Botschaft! Möge sie so empfangen werden, wie sie gemeint
								war."[7] Somit erwies sich Kollárs Idee der "slavischen Wechselseitigkeit"
							als kongeniale Geistesströmung des deutschen Idealismus. Hatte
							nicht Friedrich Schiller betont, daß gerade ihr "Nationalcharakter"
							die Deutschen dazu befähige, über die Nationalität hinaus Individualität
							und allgemeines Menschentum zu entwickeln? "Deutscher Nationalcharakter. Zur Nation euch zu bilden, ihr hofft es, Deutsche, vergebens: Für Novalis bedeutete "Deutschheit" gar eine Mischung von "Kosmopolitismus
							mit der kräftigsten Individualität", und Goethe meinte, es sei
							"einmal die Bestimmung des Deutschen, sich zum Repräsentanten
							der sämtlichen Weltbürger zu erheben."[9] In dem Streben nach Individualität und Weltbürgertum lag also
							für viele Idealisten, die zu den größten Geistern deutscher Sprache
							gehörten, der tiefere Sinn der deutschen "Nationswerdung". Daran
							knüpfte sich die Pflege und Entwicklung des individuellen Ich
							als dem eigentlichen Geist-Kern des Menschenwesens. Die zu einer
							höheren geistigen Wirklichkeit aufblickende, ichbewußte Individualität
							kann demzufolge in sich den paradoxen Zustand erleben, daß sie
							über das Volkstum und die bloße Volkszugehörigkeit hinauswächst
							und sich gleichzeitig als Mensch schlechthin, als universaler
							Weltbürger und einmalig-individueller Teil einer brüderlichen
							Menschheitsgemeinschaft begreift. Hierin lag auch der eigentliche
							Kern von Kollárs Gedanken der slavischen Wechselseitigkeit. Im Verlauf des 19. Jahrhunderts ging jedoch das Verständnis für
							das Menschenbild der Goethe-Zeit verloren, das auf dem Gedanken
							der Ichwerdung und der Weltgemeinschaft beruhte. Das geistige
							Vakuum wurde von Anschauungen gefüllt, die den Menschen aus mechanistischer
							und biologistischer Sichtweise beurteilen wollten. Das Volkstum
							wurde nun immer häufiger als sich selbstgenügendes Endziel betrachtet.
							An Napoleons Eroberungszügen hatte sich in Mittel- und Osteuropa
							ein Nationalismus entzündet, der das politische Gedankengut der
							Französischen Revolution assimilierte, aber daraus eigene Schlüsse
							zog. Anders als in Westeuropa wurden östlich des Rheins Nation
							und Volkstum gleichbedeutende Begriffe, denn man verstand den
							Menschen weniger als ein politisches Wesen, als den Citoyen einer Gesellschaft von einander gleichgestellten Bürgern, sondern
							vielmehr als ein Wesen, das von den Kräften des Blutes, der Abstammung
							und der Sprache bestimmt wird. Der Darwinismus mußte für das soziale
							Leben in Mittel- und Osteuropa ungleich fatalere Folgen haben
							als im Westen, denn hier wurde das alltägliche Durch- und Miteinander
							der ethnischen Gruppen als konkurrierender Überlebenskampf der
							"Volksrassen" interpretiert. So versanken die Deutschen schon
							während des Wilhelminismus in immer trübere Schichten der ent-ichten,
							ja ichfeindlichen Volkstümelei, bis sie als dem "Führer" willenlos
							ergebene, herdenhafte "Volksgemeinschaft" Europa mit Terror und
							Vernichtung überzogen. Der Kulturgedanke der slavischen Wechselseitigkeit
							wiederum wurde in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in einen
							politischen Panslavismus umgemünzt, der den imperialistischen
							Zielen des Zarenreiches dienen sollte; Stalin griff noch 1945
							auf panslavistische Töne zurück, um der Einverleibung Ostmitteleuropas
							in das Sowjetimperium eine historische Rechtfertigung zu verschaffen. In jener Zeit, als die Fähigkeiten zu instinktiver Gemeinschaftsbildung
							ebenso versiegten wie die Ordnungsprinzipien vergangener Epochen,
							blieb die Neugestaltung des sozialen Lebens durch Repräsentanten
							der europäischen Mitte, die auf der ichdurchdrungenen Anschauung
							einer höheren geistigen Wirklichkeit begründet werden sollte,
							in den Ansätzen stecken. Es behaupteten sich lediglich diejenigen
							Kräfte, welche die Völker Mittel- und Osteuropas in ihrer Nationalität
							verschließen wollten. Das an sich berechtigte, ja notwendige Erwachen
							jener Völker traf auf keine einsichtsvolle Tatkraft, welches ihre
							individuellen Anlagen und Fähigkeiten einem größeren Ganzen hätte
							dienstbar machen können. Österreich, gleichzeitig Urbild und Keim
							eines zukünftigen Europa, wurde vom Eigennutz seiner Völker und
							der Interessenspolitik äußerer Mächte zersprengt. Was folgte,
							waren zwei Weltkriege, zwei menschenverschlingende Ideologien,
							Haß, Zwietracht und furchtbarstes Leid. "Der Weg der neueren Bildung",
							um Grillparzer zu bemühen, führte die europäische Mitte so gesehen
							tatsächlich "von Humanität durch Nationalität zur Bestialität".[10] [1] Die Wirkung Herders auf die Slaven wird untersucht von Peter
						Drews: Herder und die Slaven. Materialien zur Wirkungsgeschichte
						bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts. München 1990. -- Gerhard Ziegengeist
						u.a. (Hrsg.): Johann Gottfried Herder. Zur Herder-Rezeption in
						Ost- und Südosteuropa. Berlin-Ost 1978. -- Holm Sundhaussen: Der
						Einfluß der Herderschen Ideen auf die Nationsbildung bei den Völkern
						der Habsburger Monarchie. München 1973. -- Konrad Bittner: J.
						G. Herders "Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit"
						und ihre Auswirkung bei den slavischen Hauptstämmen. In: Germanoslavica
						2 (1932/33), S. 453-480. -- Konrad Bittner: Herders Geschichtsphilosophie
						und die Slawen. Reichenberg 1929.  [2] Johann Gottfried Herder: Ideen zur Philosophie der Geschichte
						der Menschheit. Teil IV, Buch 16, Kap. 4. Sämmtliche Werke XIV,
						277-80. [3] Johann Gottfried Herder: Abhandlung über den Ursprung der Sprache.
						Sämmtliche Werke V, 93. [4] Zit. nach N. Ivaninin: Herder und der Illyrismus. In: Ziegengeist
						(Hg.): J. G. Herder, 130. [5] Zit. nach Robert Auty: Ján Kollár, 1793-1852. In: The Slavonic
						and East European Review 31 (1952/53), S. 74-91, hier 77. [6] J. Kollár: Über die literarische Wechselseitigkeit zwischen den
						verschiedenen Stämmen und Mundarten der slawischen Nation. Pest
						1844. Hg. v. Milo¹ Weingart: Rozpravy o slovanské vzájemnosti,
						87, 113f. [7] ©túr: Das Slawenthum und die Welt der Zukunft, 237. [8] Friedrich Schiller: Sämtliche Werke. Hrsg. von Gerhard Fricke
						/ Herbert G. Göpfert. Bd. I: Gedichte / Dramen I. München 1958,
						S. 267. [9] Vgl. hierzu das instruktive Kapitel von Karl Heyer: Sozialimpulse
						des deutschen Geistes im Goethe-Zeitalter. Kreßbronn/Bodensee
						1954 (= Wege der neueren Staats- und Sozialentwicklung, 5), 164-180. [10] Franz Grillparzer: Sämtliche Werke. Ausgewählte Briefe, Gespräche,
						Berichte. Hrsg. von Peter Frank / Karl Pörnbacher. 2 Bde. München
						1960, Bd. I, S. 500.
				
					 
			
						 
					
								
							
								
							
								Vezmìte rejstra, bratøe, smate to, pi¹te: Slován! [5]
								Dieses Register, Brüder, wischt es weg, schreibt: Ich bin Slave."
								
							
								
							
								
							
								
							
								Bildet, ihr könnt es, dafür freier zu Menschen euch aus."[8]  
						 
				
		
		
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