Der Hingang

des heiligen Columba


Als die vier Jahre, nach deren Ablauf der unertrügliche Verkünder der Zukunft [Columba], wie er selbst schon lange vorauswußte, sein Leben hier auf Erden beschließen sollte, ihrem Ende zugingen, da fuhr der Greis eines Tages im Monat Mai (...) müde von der Last des Alters auf einem Wagen aus, um arbeitende Brüder zu besuchen; sie arbeiteten nämlich an jenem Tag auf der Westseite der Insel Iona.

Er sagte zu ihnen: »Bei der Osterfeier im jüngstvergangenen April habe ich mir sehnsüchtig gewünscht, zu meinem Herrn Christus einzugehen, und Er hatte es mir gewährt, wenn es mein Wunsch wäre. Aber um euch nicht die Festesfreude in Trauer zu verkehren, habe ich es vorgezogen, den Tag meines Abschieds von der Welt noch etwas länger hinauszuschieben.«

Als die Mönche seiner Klosterfamilie diese betrüblichen Worte hörten, wurden sie sehr traurig. Er tröstete sie, so gut er konnte, und versuchte, ihre Trauer zu zerstreuen. Dann wandte er sich, ohne den Wagen zu verlassen, nach Osten um und segnete die Insel mit allen ihren Bewohnern; seit jenem Tag (...) hat bis heute das Gift der dreizüngigen Vipern keinem Menschen oder Tier bei uns irgendwie schaden können. Nach diesen Segensworten ließ sich der Heilige wieder ins Kloster zurückfahren.

Wenige Tage später, während wie üblich der Hauptgottesdienst am Sonntag gefeiert wurde, sah man plötzlich das Antlitz des ehrwürdigen Mannes mit leuchtendem Rot überzogen; denn, wie geschrieben steht, wenn das Herz sich freut, strahlt das Antlitz. In jenem Augenblick sah er nämlich allein einen Engel des Herrn innerhalb der Kirchenwände über ihm dahinschweben; und weil der liebliche und friedliche Anblick der heiligen Engel die Herzen der Erwählten mit Freude und Jubel erfüllt, so versetzte diese Vision den heiligen Mann im selben Augenblick in einen Zustand der Freude.

Als die Anwesenden ihn nach dem Grund der Freude fragten, die über ihn gekommen war, da blickte der Heilige zum Himmel auf und sagte: »Wunderbar und unvergleichlich ist die körperlose Natur der Engel. Denn seht, ein Engel Gottes, der gekommen war, um ein Pfand, das Gott lieb ist, zurückzuholen, hat hier in der Kirche auf uns herniedergeschaut, hat uns gesegnet und ist dann durch ein kleines Fenster der Kirche, ohne eine Spur seines Ausgangs zu hinterlassen, heimgekehrt.« Dies waren des Heiligen Worte. Was aber mit dem Pfand gemeint war, das der Engel zu holen gekommen war, das konnte keiner der Anwesenden verstehen. Unser Patron aber meinte mit dem Pfand die eigene Seele, die Gott ihm anvertraut hatte. Wie ich später berichten werde, ging diese Seele nach weiteren sechs Tagen, in der folgenden Sonntagsnacht, zum Herrn ein.

Am Ende jener Woche, nämlich am Samstag, begab sich der ehrwürdige Mann und sein treuer Diener Diormit zu einer nahen Scheune, um sie zu segnen. Der Heilige trat ein, segnete die Scheune und zwei Haufen geworfelten Korns, die darin waren, sagte Gott Dank und sprach: »Ich freue mich für die Mönche meiner Gemeinde, daß ihr selbst um diese Jahreszeit, falls ich mich von euch irgendwohin fortbegeben muß, ausreichenden Vorrat habt.« Als sein Diener Diormit dies hörte, wurde er traurig und sprach: »In der letzten Zeit, mein Vater, hast du uns schon mehrmals betrübt, weil du oft von deinem Hinscheiden sprichst.« Der Heilige antwortete ihm: »Ich habe ein Geheimnis für dich. Wenn du mir bindend versprichst, es vor meinem Tod niemandem anzuvertrauen, dann kann ich dir Genaueres über mein Hinscheiden sagen.« Der Diener kniete nieder und gab dem Heiligen das verlangte Versprechen.

Darauf sprach der ehrwürdige Mann: »Dieser Tag wird in der Heiligen Schrift Sabbat genannt, das bedeutet Ruhe. Für mich ist der heutige Tag ein wirklicher Sabbat, denn es ist der letzte meines mühseligen Lebens in dieser Welt; nachher werde ich von der Last meiner Mühen ausruhen. Um die Mitte der kommenden heiligen Sonntagsnacht werde ich, wie man in der Heiligen Schrift sagt, den Weg meiner Väter gehen. Denn schon hat mein Herr Jesus Christus mich gnädig eingeladen; zu Ihm, der mich selbst einlädt, werde ich denn in der kommenden Nacht eingehen. So ist es mir vom Herrn selbst geoffenbart worden.«

Als der Diener diese traurige Eröffnung vernahm, begann er zu weinen. Der Heilige versuchte ihn nach besten Kräften zu trösten. Dann verließ der Heilige die Scheune. Auf der Heimkehr setzte er sich auf halbem Weg nieder; an dieser Stelle wurde später ein Kreuz mit steinerner Basis errichtet, und es steht noch heute. Während sich der Heilige wie gesagt dort niedersetzte, um -- altersmüde, wie er war -- ein wenig auszuruhen, siehe: da kommt ein weißes Pferd auf ihn zu, der gehorsame Diener; es pflegte die Milcheimer zwischen den Kuhställen und dem Kloster hin und her zu tragen. So wunderbar es klingen mag, dieses Tier ging auf den Heiligen zu, legte seinen Kopf in dessen Schoß -wie ich glaube, auf Gottes Eingebung, vor dem jedes Tier, wenn der Schöpfer es befiehlt, Vernunft annimmt -und betrauerte seinen Herrn, der, wie es wußte, bald von ihm gehen und den es dann nicht wieder sehen sollte; wie ein Mensch ließ es einen Strom von Tränen in den Schoß des Heiligen fließen und weinte, daß ihm der Schaum kam.

Als der Diener das sah, wollte er das tränenreich trauernde Tier fortjagen; doch der Heilige verbot es ihm und sagte: »Laßt meinen Freund, laßt ihn doch die Tränen bitterer Trauer in meinen Schoß weinen. Siehe, du bist ein Mensch, du hast eine vernünftige Seele, und doch hast du von meinem Hinscheiden keine Ahnung haben können, bis ich selbst dir vor kurzem davon Kunde gab. Aber diesem stumpfen und unvernünftigen Tier hat sein Schöpfer nach Seinem Willen untrüglich enthüllt, daß sein Herr von ihm scheiden wird.« Mit diesen Worten segnete er seinen treuen Diener, das Pferd, das sich traurig auf den Rückweg machte.

Dann ging er weiter, und als er auf einen Hügel gekommen war, der unmittelbar hinter dem Kloster stand, blieb er einen Augenblick stehen, erhob beide Hände, segnete sein Kloster und sprach: »Diesem Ort, so klein und ärmlich er ist, werden nicht nur die Könige Irlands mit ihren Völkern, sondern auch die Herrscher der Fremden und der Ausländer mit ihren Untergebenen große und ungewöhnliche Ehre erweisen; selbst die Heiligen anderer Kirchen werden ihm ganz besondere Verehrung darbringen.«

Nach diesen Worten stieg er die Hügel hinab; als er ins Kloster zurückkam, setzte er sich in seiner Zelle nieder und schrieb an einem Psalter. Und als er im 33. Psalm zu dem Vers kam, in dem es heißt: Die den Herrn suchen, werden alles Gute in Fülle haben, da sagte er: »Hier, am Ende der Seite, muß ich aufhören; Baithene soll zu Ende schreiben.«

In der Tat paßte auf den sterbenden Heiligen der Vers, den er zuletzt geschrieben hatte, denn ihm wird der ewige Lohn nie fehlen; auf seinen Nachfolger aber, den Vater und Lehrer geistlicher Söhne, paßt der folgende: »Kommt, ihr Söhne, höret mich, ich werde euch die Frucht des Herrn lehren.« Wie der Sterbende gesagt hatte, war jener sein Nachfolger nicht nur als Lehrer, sondern auch als Schreiber.

Nachdem er so besagten Vers am Ende der Seite geschrieben hatte, betrat der Heilige die Kirche zur Abendmesse der Sonntagsnacht. Sobald diese beendet war, begab er sich wieder in seine Zelle und verbrachte dort die Nacht auf seinem Bett sitzend, das nichts anderes als ein nackter Fels war.

Dort also setze er sich nieder und gab seinem Diener, der allein bei ihm war, seine letzten Aufträge an die Brüder: »Dies, meine lieben Söhne«, so sagte er, »sind die letzten Worte, die ich an euch richte: Liebt euch in gegenseitiger, ungeheuchelter Liebe und lebt in Frieden; wenn ihr so nach dem Vorbild der heiligen Väter lebt, wird Gott, der die Guten stärkt, euch zu Hilfe kommen, und ich werde, wenn ich bei Ihm bin, für euch bitten. Ihr werdet von Ihm nicht nur alles reichlich erhalten, was zum gegenwärtigen Leben nötig ist, sondern auch euren Anteil an dem Lohn der ewigen Güter, der denen bereitet ist, die das Göttliche vor Augen haben.« Hier enden die letzten Worte unseres ehrwürdigen Patrons, der schon im Begriff war, von dieser lästigen Pilgerfahrt in die himmlische Heimat zurückzukehren; ich habe sie hier verkürzt wiedergegeben.

So kam allmählich seine glückliche letzte Stunde heran. Der Heilige verstummte. Um Mitternacht, als die Glocke geläutet wurde, erhob er sich sofort, ging zur Kirche, rascheren Schrittes als alle anderen, betrat sie allein und ließ sich am Altar auf beide Knie zum Gebet nieder; sein Diener Diormit, der ihm etwas langsamer gefolgt war, sah in diesem Augenblick aus der Ferne die ganze Kirche vom Licht der Engel erfüllt, das dem Heiligen entgegenstrahlte, doch im Augenblick, da er sich der Tür näherte, verschwand das Licht; aber auch andere Brüder hatten es aus der Ferne, wo sie standen, gesehen. Diormit betrat die Kirche und rief mit trauriger Stimme: »Wo bist du, Vater?« Und da die Brüder mit ihren Laternen noch nicht zur Stelle waren, tastete er sich in der Dunkelheit vorwärts, bis er den Heiligen vor dem Altar liegend gefunden hatte. Er richtete ihn ein wenig auf, setzte sich neben ihn und legte das Haupt des Heiligen in seinen Schoß. Inzwischen war die Schar der Mönche mit ihren Laternen angelangt, und als sie ihren Vater im Sterben sahen, brachen sie in Klage aus.

Der Heilige -- so haben wir von manchen, die Augenzeugen waren, vernommen -, den seine Seele noch nicht verlassen hatte, önete die Augen, erhob sie zum Himmel und blickte dann nach rechts und links mit einem wunderbar heiteren und freudigen Gesichtsausdruck um sich; er sah nämlich Engel, die ihm entgegenkamen. Diormit stützte die rechte Hand des Heiligen, damit er die versammelten Mönche segnen könne. Auch der ehrwürdige Vater bewegte seine Hand, so gut er noch konnte, damit er, da er schon im Augenblick des Auszugs seiner Seele nicht mehr sprechen konnte, wenigstens mit der Bewegung seiner Hand die Brüder segne. Nachdem er so seine Absicht kundgetan hatte, den Segen zu spenden, hauchte er sogleich seinen Geist aus. Kaum hatte dieser das Haus seines Körpers verlassen, da begann sein Antlitz zu leuchten und blieb so, wunderbar beseligt in der Anschauung der Engel, so daß er nicht wie ein Toter aussah, sondern wie ein Lebender im Schlaf. Die ganze Kirche aber hallte wider von traurigen Klagen.

Clonmacnois

Adomnán von Iona
Leben des hl. Columba (Ende 7. Jh.)

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